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Die Heiligen
sind die wahren Lehrer der Kirche
Predigt von
S. E. Kardinal Meisner
zur Seligsprechung von Mutter Maria Rosa Flesch
in Trier
Trier (www.kath.net)
Am Sonntag wurde in Trier Mutter Rosa Flesch,
die Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen, feierlich zur Ehre der Altäre erhoben. Als Delegat des Papstes kam der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, nach Trier und nahm die Seligsprechung
im Namen von Papst Benedikt XVI. vor.
KATH.NET dokumentiert die Predigt
von Kardinal Meisner
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. In seinem berühmten Apostolischen Schreiben "Novo millennio ineunte" schreibt Papst Johannes Paul II.:
Die Christen des neuen Jahrhunderts werden durch die Heiligkeit ihres Daseins und Soseins geprägt sein müssen. Und darum brauchen wir eine neue Pädagogik der Heiligkeit (vgl. NMI 31).
Darauf ist mitunter die Antwort zu hören: "Ich bin schon froh, ein normaler Christ zu sein und habe gar nicht das Ziel, ein Heiliger zu werden". Nun ist in den Augen Gottes der Heilige der Normalchrist. Darum gilt uns allen die Einladung des Herrn, ihm ein wenig ähnlicher zu werden. Das heißt schlicht "Heiligkeit". Und es gehört sicher in diese Pädagogik der Heiligkeit, wenn uns heute die Kirche in ihrer Seligsprechung die unvergessliche Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen, Mutter Maria Rosa Flesch, an die Seite stellt. Sie ist eine von uns. Sie ist keine Exotin aus fernen Ländern, wo vielleicht Heiligkeit in der Luft liegt.
Heiligkeit wird nicht gebaut aus Carrarischem Marmor, sondern aus Eifeler Vulkangestein oder aus rheinischem Sandstein. Mutter Maria Rosa Flesch kommt aus Schönstatt bei Koblenz. Sie ist eine Landsmännin von uns. In der Keltermühle in Niederbreitbach im Wiedtal, musste Margareta, wie sie mit ihrem weltlichen Namen hieß, nach dem Tod ihrer Mutter als älteste Tochter für den Unterhalt ihrer 6 jüngeren Geschwister mitsorgen.
Hier begann eigentlich schon ihr Noviziat als Ordengründerin und Schwester ihrer Mitmenschen.
Die Liebe Christi drängte sie angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen ihrer Zeit, den zahllosen Menschen in Armut, Krankheit und Not beizustehen.
Sie fühlte sich für sie verantwortlich. Und sie erkannte bald darin, dass zwei Hände und ein liebendes Herz allein nicht genügen, um den Menschen zu helfen.
Darum suchte sie nach einem Miteinander Gleichgesinnter, dem Drängen der Liebe Christi nachzukommen. Im Herbst 1851 zog Margareta Flesch, zusammen mit ihrer epilepsie-
Als Tagelöhnerin, mit Handarbeiten und Unterricht bestritt sie ihren Lebensunterhalt.
Ihre Mitschwestern schätzten sie zunächst hoch.
Nach Schwester Maria Capistrana Clasen war Mutter Maria Rosa klug und hatte ein gutes Urteil.
Und Schwester Maria Radberta Surges berichtete:
"Sie sprach wenig und betete viel".
2. Die Franziskanische Spiritualität prägte ihre Hingabe an Christus, vornehmlich in den Kranken und Suchenden. Von ihr stammt das nachdenkliche Wort: "Nur in der Armut ist mir die Hilfe Gottes versprochen, nicht im Überfluss".
Ihr Dienst stand von Anfang an im Schatten des Kreuzes und nahm deshalb oft die Gestalt des Leidens an. "Ich mag dich leiden", in diesem Satz spricht sich eine Liebes-
Dasselbe ist gemeint, wenn ich sage: "Du bist mir symphatisch". Es bedeutet nach seinem griechischen Ursprung: "Du bist mir so lieb und teuer, dass ich um dich leide und bange".
Worte bringen es an den Tag: Was ich besonders liebe, wird mir zur Passion, zur Leidenschaft. Danach ist "Leid" nur ein anderer Name für "Liebe". Der Mensch ist die große Leidenschaft Gottes. Wir sind nicht durch Leiden erlöst, sondern durch Liebe, die aber im Ernstfall die Gestalt des Leidens annimmt.
Es gibt, wie bei der seligen Mutter Maria Rosa Flesch deutlich sichtbar, eine besondere Berufung in der Kirche, nicht Zuschauer, sondern Mitwirkender seiner Passion zu sein. Alle Geheimnisse des Lebens Jesu sind an die Kirche verteilt. Die Leidensstation, bei der Petrus, der künftige erste Mann der Kirche, bei der Gefangennahme des Herrn vor einer Magd den Herrn verleugnete:
"Ich kenne ihn nicht" (Lk 22,57), war an Mutter
Maria Rosa weitergegeben. Auch über sie wurde von den Ihrigen gesagt: "Ich kenne sie nicht".
Hier hat Mutter Maria Rosa ihren Platz. Im Jahre 1878 ist sie im Alter von 52 Jahren nach 14-
Viele nachfolgende Schwestern kannten sie als Gründerin gar nicht. Mit Manipulation und sogar Wahlfälschung verhinderten gewisse Kreise um sie herum im Jahre 1881 erneut ihre Wiederwahl. Dieser Zustand wird 28 lange Jahre anhalten, fast ein Menschenalter lang. Diese tragischen Umstände bewogen die Benediktinerin Schwester Maura Böckeler, ihre Biographie von Mutter Maria Rosa mit der Überschrift "Die Macht der Ohnmacht" zu versehen.
Wie in einem chemischen Prozess eines Labors wurden
in ihrem Herzen Ablehnung, Zurücksetzung, Hass, Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit durch Leiden, Geduld, Schweigen und Beten verwandelt in Liebe, Gnade und geistliche Fruchtbarkeit für ihr Werk.
Mutter Maria Rosa Flesch hatte sich nicht verweigert.
Hier sagte sie "Ja" zur Nachfolge Christi, "Ja" zur Teilhabe der Sendung Jesu an der Welt, "Ja" zu einer Kirche, die bezeichnet ist mit dem Kreuz. Ihr stand das Wort des
hl. Augustinus vor Augen: "Gib, Herr, was du verlangst,
und verlange, was du willst". Dieses Drama ihres Lebens berührt uns heute besonders tief.
3. Irdisches Denken hat heute weithin auch unser kirchliches Denken überlagert. Der Gedanke an die Machbarkeit von Glauben, der Organisierbarkeit und
der Funktionalisierbarkeit von religiösem Leben ist tief
in die Reihen der Gläubigen eingedrungen und hat dort eine beeindruckende Aktivität entfaltet. "Gerade auch
in den religiösen Gemeinschaften", so schreibt Isa Vermehren, "sind dieser Hoffnung auf Machbarkeit von Gotteserfahrungen durch eine Anhäufung von Methoden und Analysen, durch gruppendynamische Experimente viele Schmerzen zum Opfer gebracht worden, selten mit dem erhofften Erfolg" (Sr. Isa Vermehren rscj, Das Reich Gottes ist mitten unter euch). Denn spätestens an diesem Punkt wird die eigentliche Herausforderung unseres Glaubens überdeutlich und zwingt uns, umzukehren.
Hier ist uns Mutter Maria Rosa eine wirkliche Wegweiserin. Nicht wir haben den Herrn zuerst geliebt, sondern er uns. Dieses Zuerst bleibt bestimmend für ein christliches Leben.
Unser Gehen zu Gott ist immer schon ein Kommen Gottes zu uns. Hier liegt der Anfang unseres Glaubens, dass wir unsere Beziehungen zu Gott nie einseitig von uns ausmachen, denken oder anlegen können, sondern immer kommt ihm die umfassendere Wirklichkeit zu.
Er ist der Erste, der Beweger, der Rufende.
Wir sind die Empfangenden, die Antwortenden.
Mutter Maria Rosa stand die längste Zeit ihres Ordenslebens in Stellvertretung für die ihr Anvertrauten vor dem Angesicht Gottes. Wir wiederholen nochmals:
Alle Geheimnisse des Lebens Jesu, seines Wirkens und besonders seiner Passion sind in irgendeiner Weise an
die Christen verschenkt und verteilt.
Sie haben an allen Schätzen und Stationen Anteil.
Sie können mitwirken, mitgekreuzigt werden,
mitauferstehen, am Jüngsten Tag mitrichten, der ewigen Seligkeit des Sohnes mit teilhaftig werden. Wie sollten sie darum also nicht auch teilhaben am Hauptakt der Erlösung, an der Möglichkeit, die Menschen, d.h. die gottlos gewordenen Menschen, zu vertreten?
Natürlich in dem Maße wirksamer, als sie von ihren eigenen Sünden befreit und zu einem Mittragen des Kreuzes und zur Teilnahme seiner Einsamkeit geeignet und bereit werden. Mutter Maria Rosa wird dafür sorgen, dass auch eine in die Kirche eindringende Erfolgsideologie nicht dieses biblische Gedächtnis dafür auslöschen wird.
Denn wir stehen heute zunehmend in Situationen, die nur durch den Gedanken der Stellvertretung oder -
Mutter Maria Rosa ist geradezu eine Patronin der stellvertretenden Sühne. Denn dazu sind alle Christen, jeder in seiner Weise, berufen. Gemeinschaft der Heiligen geht vom Kreuz aus. Diese Gemeinschaft ist keine empirische oder psychologisch erfassbare, sondern ist Einsamkeit und Leiden für den Aufbau der Gemeinschaft des Leibes Christi, der die Kirche ist. Man kann vielleicht sagen, dies sei eine Grenzsituation, aber vermutlich sind alle wesentlichen Situationen des Christen Grenz-
als Menschliches in unsere menschlichen Lebensräume einsickert.
4. Mutter Maria Rosa war daher ganz von einer tiefen Liebe zur konkreten Kirche beseelt. Schwester Marzella Schumann schrieb diesbezüglich in der Lebens-
Der liebe Gott nahm das Opfer an, wie es die Geschichte zeigen wird. Sie betete und litt für die Kirche und für ihre Mitmenschen".
Am 25. März 1906 starb Mutter Maria Rosa in Waldbreitbach. Schwester Marzella Schumann, die sich mit der Stifterin über die Entstehung der Gemeinschaft in ihrer zweiten Lebenshälfte häufig unterredete, hielt Folgendes schriftlich fest: "Ihre ungekünstelte, schlichte, einfache Redeweise dabei ist klarer Beweis, dass die Tatsachen auf Wahrheit beruhen. Sie wies alle Ehre von sich, indem sie sich nur als armseliges Werkzeug in Gottes Hand betrachtete".
Jahrzehnte sollten allerdings vergehen, bis sich die Gemeinschaft ihrer wieder erinnerte und ihrer Gründerin die Anerkennung und Wertschätzung zukommen ließ.
Ihr Geist der Nachfolge und des Dienstes bis zuletzt, der Unscheinbarkeit und Zuverlässigkeit kam langsam wieder zum Vorschein. Im Hinblick auf Maria, das Urbild der Ganzhingabe, wurde die Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen zu einem leuchtenden Zeichen für ihre Gemeinschaft und darüber hinaus für die ganze Kirche, gerade auch
in der heutigen Situation. Dieser neuen Seligen muss man zuhören, denn niemand, so sagt Hans Urs von Balthasar, "kann des Blicks auf jene Ausleger entraten, die vom Heiligen Geist selber als authentische Darstellung des
in der Schrift Gemeinten der Kirche vorgestellt werden".
Wir brauchen eine Pädagogik der Heiligkeit. Hier wird sie uns in Mutter Maria Rosa Flesch geschenkt. Heute rühmt die Kirche von Trier unseren Erlöser Jesus Christus selbst, wenn sie Mutter Maria Rosa als neue Selige verehrt und sie um ihre Fürbitte anruft. Am Fest Allerheiligen betet die ganze Kirche: "Gott, du allein bist heilig. Dich ehren wir, wenn wir der Heiligen gedenken". "Und wir verschweigen etwas von seiner Herrlichkeit, wenn wir aufhören, diese zu rühmen, in denen er sich selbst gezeigt hat.
In den Menschen, die Gefäße seiner Huld wurden, preisen wir ihn. Sie stehen ihm nicht im Wege, sondern verweisen auf ihn", so Papst Benedikt XVI. in einer Ansprache. Heiligkeit ist niemals unser Privateigentum. Nichts ist umfassender und durchlässiger als Heiligkeit. Darum sind die Heiligen die wahren Lehrer der Kirche. Leben doch nicht sie, sondern Christus in ihnen. Amen.